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Kapitel 12
Überzeugungskraft
(vom 23.10.2003)

Alles verläuft wie im Bilderbuch. Erik ist genauso entzückt wie Mel von diesem tollen Zufall. Informatik ist derweil schon längst Vergangenheit und nach der Zehnminuten nach Hause - Fahrt grübelt Erik schon längst nicht mehr über Nationalsozialismus oder Schicksalsschläge nach. Das Gespräch auf der Rückfahrt, die Erik dankend geniesst verläuft auch weitgehend unbeschwerter als bei der besonderen Begegnung wie Mel es doch heute morgen noch so feinfühlig formulierte. Erik ist nicht mehr ganz so verklemmt und Mel schöpft auch so langsam aber sicher Vertrauen. Besser kann es also gar nicht verlaufen, denkt sich Erik noch so während er freudig den kommenden Nachmittag begrüßt. Wer hätte das gedacht? Er und Mel haben eine Verabredung. Noch vor einiger Zeit hätte er gedacht, dass sein Leben still steht und er – wie das Leben es für ihn so vorgesehen hatte, kalkulierbar wie das Leben ist – sein Abitur mache, anschließend einer Ausbildung gelangweilt frönt und letztlich seinen Traumjob bis in alle Ewigkeit angeödet verübt. Doch da war sie: Mel! Und das Weltbild von Erik ward umgeworfen, so wie es Herr Gussling immer bei Revolutionen formulierte. REVOLUTION – Nein! Doch nicht jetzt! Schon wieder ein Wort, das sich Erik unweigerlich aufdrängt. Und das in einer solch schönen Situation. Was soll das? Er glaubte tatsächlich, dass es bei den Worten Freiheit, fremder Freund und Zeit des Erwachens bleiben würde und nun Revolution. Er will doch den Moment genießen und jetzt wurde er wieder an seine vorangegangene Nachdenklichkeit erinnert. Aber davon lässt er sich jetzt keinen Strich durch die Rechnung machen. So ungern er diese Nachdenklichkeit auch verdrängte. Verdrängung – auch hierin sollte der Mensch seinen ganz besonderen Bezug zu haben, denn alles was ihm unangenehm schien und worauf man ihn negativ belangen könnte wird schnell verdrängt: Des eigenen Seelenheils willen! Letztendlich überlebt dann auch das Seelenheil des Betroffenen und es soll auch nicht von eventuellen Opfern der Verdrängung verhindert sein. Das eigene Wohl des Menschen kann also auch überschätzt werden und wenn man Zeit zum Sinnieren hat, dann sollte man diese wohl auch wahrnehmen, aber das sieht Erik nun bei aller Liebe zur Gedankenwelt in einen der schönsten Momente seines gegenwärtigen Lebens nicht ein. Der Nachmittag werde toll und für die Zukunft schöpft er auch lebhafte Hoffnung, auch wenn er selber wusste, dass er diesen glücklichen Zufall vollkommen überbewertet und sich die Welt deshalb auch nicht ändere, aber für einen Moment würde Erik heute gemeinsam mit Mel die Illusion haben dürfen frei zu sein. Eine Utopie, die Inspiration für ein anderes Leben gibt. Kaum zu Hause angekommen wirft Erik seine Schulsachen in die Ecke, verschwendet keinen Gedanken an die Hausaufgaben, gibt seiner Mutter einen Kuss und umarmt sie überschwänglich. Während er schnell das nächst essbare eilend in sich reinstopft, schaut seine Mutter ihn verwundert an: „Was ist los? Hat Dir gerade jemand einen Koffer mit einer Million Euro geschenkt oder weshalb verschlingst Du so euphorisch Deine Umwelt?“ Seine Mutter weiß stets, wie und warum Erik sich so fühlt wie er sich fühlt. Er kann nichts vor ihr geheim halten, was einem eigentlich Sorgen machen sollte, aber durch diese angenehme Kommunikation fühlte sich Erik immer um eines auf dieser Welt erleichtert. Es ist wichtig, dass man jemanden hat, der sich auch einfach nur mal Stumm am Rande des Sofas setzt und den Sorgen eines anderen Menschen lauscht. Man muss nicht immer etwas dazu sagen, aber das Gefühl nicht allein zu sein ist unbezahlbar. Wer ist heute noch in der Lage diese besondere Gabe zu spenden und wer ist heute dazu noch bereit? Erik hat die verheerende Angewohnheit sich durch seine Sorgen immer die Möglichkeiten der Konsequenzen in verschiedenen Szenarien, die wie eine gute Seifenoper an seinem geistigen Auge vorbei ziehen auszumalen. Und dadurch stürzt er sich oft nahezu unnötig aus Angst in tiefe Depressionen und die ihn dann ereilende Mutlosigkeit schätzt er als sehr verheerend ein. Er las oft von Menschen, die sich durch ebensolche Szenarien so deprimiert fühlen, dass sie ihre Lebenslust verlieren. Wie weit muss es kommen, dass man seine Lebenslust verliert? Das könnte Erik nicht geschehen, denn so traurig doch viele Dinge waren, birgt das Leben doch noch so viele Freuden und Genüsse. Es gibt die Liebe und es gibt Hoffnung uns solange das höchste Gut des Menschen noch existiert, gibt es keinen Grund sein Leben vorzeitig zu beenden. „Ich werde weiteratmen – weil morgen die Sonne wieder aufgeht - und wer weiß was die Flut bringt.“ Sagte schon Tom Hanks im Film „Cast Away – Verschollen“, obwohl er sein Lebensziel – die Liebe zu seiner Frau tragisch verloren hat und doch hatte er verschollen auf der Insel gelernt, dass die Flut immer noch Überraschungen bereithielt. All diese weisen Erkenntnisse ist Erik eigentlich gar nicht in der Lage für seinen Lebensstil zu fassen, aber aus irgendeinem nicht ersichtlichen Grunde scheint seine Mutter daran zu glauben und das stetige vermitteln dieser

traumhaften Hoffnung, die höchstwahrscheinlich ebenso in das verlorene Paradies führt wie Eriks Drang die Welt zu bessern

übt einen elanvollen Einfluss auf Erik aus. Und Erik ist davon überzeugt, dass der Glaube seiner Mutter wegweisend ist, denn sie hat ihren Mann verloren und sie hat kaum noch Zeit für sich und trotzdem spendet sie ihren letzten Tropfen Menschlichkeit anderen Menschen. Dieses Verhalten ist Eriks Meinung nach beispiellos und so würde er wahrscheinlich nie von seinem Lebensmotto abkommen, dass „Forrest Gump“ als Quintessenz nennt:

„Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie was man bekommt.“