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Kapitel 16
Dunkle Apokalypse
(vom 27.10.2003)

Schrill, aufschreckend, unangenehm! Dieses dröhnende Geräusch würde doch selbst Schlafsüchtige aufwecken. Koray springt mit einem unguten Gefühl auf und mit einem Blick auf den klingelnden Wecker, der mittlerweile bestimmt seiner ganzen Familie auf die Nerven ging wird dieses ungute Gefühl auch prompt bestätigt: Die Striche der Digitalanzeige, die Ziffern bilden zeigt eine 8, eine 3 und eine 5: 8.35 Uhr! Koray hätte schon seit zwanzig Minuten im Unterricht sitzen müssen! Er ging gestern Abend so spät ins Bett, da er mit seinem Opa gestern noch lange über das aufkommende Unwetter redete, um dann bei der zweiten Tasse Tee so schläfrig zu werden, dass er in seinem Arm einschlummerte: Erst gegen drei Uhr morgens kam er sodann ins Bett, um in aller Ruhe zu schlafen und jetzt hatte er erwartungsgemäß verschlafen. Eigentlich ist das ja nicht so schlimm, aber Koray hasst es den Unterricht zu verpassen. Wenn man dann zu spät kommt, dann ist das so peinlich, außerdem weiß er oft nicht, in welchem Raum seine Klasse ist und er müsste dann wieder das ganze Gebäude demütigend absuchen und letztlich verpasste er dann doch wichtigen Stoff! Ärgerlich beschließt er deswegen nun erst zur dritten Stunde gegen zehn Uhr in der Schule einzutreffen und sich die Unterlagen des Englischunterrichtes dann von einem Mitschüler zu besorgen. Mürrisch isst er am verlassenen, aber noch gedeckten Frühstückstisch seine allmorgendlichen Brötchen, packt dann seine Tasche, duscht ausgiebig und begibt sich dann auf den Weg zur Schule. Jetzt würde er für den Rest des Tages schlechte Laune haben. Da nutzte auch das ausgiebige Duschen nichts! Koray betrachtet heute auch die Zeit wieder als Feind. Das war sie größtenteils auch für ihn. Das Wetter macht auch nicht gerade glücklicher! Es ist wirklich kein Wölkchen am Himmel zu sehen. Es regnet durchnässend und die Kälte wird durch einen eisigen Wind verstärkt. Wenn Koray den Himmel heute morgen als schwarz bezeichnete, war es auch genauso so gemeint...schwarz! Und der Bus hat auch noch Verspätung. Dabei muss er doch jetzt kommen, sonst ist Koray selbst zur dritten Stunde zu spät. Verzweifelt macht sich Koray zu Fuß auf den Weg zur Schule in der Hoffnung, dass wenn er rennt – die Schule eher zu erreichen ist als der verspätete Bus dort eintrifft. An diesem Mittwochmorgen sind die Geister Koray wohl nicht gut gesonnen. Und dieser Gedanke wurde selbstverständlich auch wieder bestätigt, denn der Bus fährt nun eilig an Koray vorbei, denn er hat ja Verspätung. Dabei wühlt er das Regenwasser, dass sich in der Rinne des Bordsteins ansammelte auf und befördert es durch den Druck des Fahrzeugs unmittelbar auf Koray! Jetzt ist er sich sicher, dass sein Tag versaut ist. Zudem ist es schon wieder zwei Minuten nach Unterrichtsbeginn, er ist durchnässt von stinkenden, öligen Regenwasser und schlecht aufgestanden! Konnte es noch schlimmer werden?

Diese Frage hätte Koray nicht stellen dürfen, denn nicht nur der Himmel sollte heute schwarz sein...

Auf der anderen Straßenseite ist Roland gerade in Begriff Koray ins Auge zu fassen. Jeder wusste, dass Roland rechts ist. Er hatte kein Erbarmen mit unterlegenen Mitschülern und ließ die überschüssige Energie und die Demut, die er stets verschluckte wohl an Jüngeren aus! Koray wollte er schon lange erwischen, doch in der Schule wagte er es nie, da seine Lehrer sein neonationalsozialistisches Handeln rücksichtslos sanktionieren wollen - wie sie es ihm schon zig mal androhten – auf dem nach Hause – Weg beeilte sich Koray immer enorm und ansonsten mied er Roland. Doch jetzt ist es zu spät zu laufen oder unauffällig zu erscheinen, denn Koray ist noch gute fünf Minuten vom nächsten Menschen in seiner Schule entfernt, sein Zuhause ist noch weiter weg und durch die Nässe des Regenwassers und seiner schon vorangegangenen Eile ist er nun träge. Es ist aussichtslos. Er könnte sich nur noch stellen und auf Gnade hoffen.

Warum ist dieser Junge so aggressiv? Was lässt ihn andere Menschen, seien sie auch Ausländer so hassen? Wieso ist Gewalt immer eine Lösung? Und womit hat er das verdient? Er war doch immer nett, helfend und niemals faul! Nein, das hat er nicht verdient!

Sein Vater hatte oft unter Diskriminierung gelitten und er erzählte es oft. Die leidgeprüften Augen seines Vaters waren für Koray immer ein Unverständnis, denn er ist bis heute nie unter dem Druck des Rassenhasses gewesen.

Um ehrlich zu sein glaubt er auch nicht daran, dass ein Mensch einen anderen etwas so Grausames antun kann! So zivilisiert sind die Menschen doch mittlerweile, oder?

Roland nähert sich entschlossen mit einigen seiner „Lonsdale“ - Kleidung tragenden Freunde. Sie stehen jetzt auf dem Mittelstreifen der Hauptstraße und nur noch eine zwölf Meter lange Reihe von Autos verhinderte, dass sie Koray erreichten. Er steht wie versteinert und schaut seinen Peinigern in ihre Gesichter. Sie wirken, als ob es ihnen in den Fingern jucke. Was plötzlich alles für Koray unwichtig wurde, was ihn sonst beschäftigte. Die Zeit spielt für ihn nun keine Rolle mehr. Er fühlt sich wie verloren im Zeitfluss! Er ist nirgendwo zu spät und nirgendwo zu früh. Die Schule und der Druck der Erwartungshaltungen rücken für ihn als ein Angstgefühl in unantastbare Vergangenheit und in ebengleiche Zukunft, wie er hofft. All seine weltlichen Überzeugungen und Vorlieben verschwanden nun plötzlich in die Schwärze des Himmels als ob die Apokalypse drohte. Ein Weltuntergang beschreibt es präzise! Wo ist nun sein Glaube und wo seine Hoffnung, wo ist die Zeit und wo die Menschlichkeit. Wo ist eine helfende Hand? Es liefen doch Menschen auf der anderen Straßenseite. „Einige bemerken sogar die angespannte Lage und schauen interessiert zu mir herüber. Andere winken und wollen mir signalisieren zu laufen! Kommt doch her und helft mir!“ will Erik noch deutlich machen, doch seine Arme regen sich nicht und auch seine Stimme versagt. „Da ist ja unser neunmalkluger Informatikheld! Na, was möchtest Du den später mal werden, mein türkischer Freund?“ fragt Roland Koray herausfordernd! Mit zittriger Stimme kann Koray nun doch antworten: „Ich...ich weiß noch nicht! Informatik wäre toll! Du willst mir doch nichts anhaben, oder? Ich will doch Dein türkischer Freund sein und...und...“. Noch bevor er ausreden konnte, fühlt sich einer von Rolands Freunden dazu verpflichtet Koray seine Schultasche abzunehmen und ihm das Schuletui entgegen zu werfen. „Wie kannst Du mein Freund sein, wenn Du Türke bist? Du hast doch nur vor uns Geld aus der Tasche zu klauen. Und später arbeiten wir zusammen in einem Betrieb und schnappst mir die Beförderung weg! Du hast Vorstellungen.

Die Zeiten haben sich gewendet

und es wird Zeit, dass Deutsche wieder Deutsche werden!“ Eine Propaganda, die man in schlimmen Filmen über Neonazis hörte, aber doch nicht in der Realität. Jetzt ging alles sehr schnell und Koray verliert seine Ängste, denn das Unausweichliche geschieht: Als Zeichen des Wohlwollens helfen Roland und seine Freunde ihn aus seiner Kleidung raus, da sie ja nass sei! Nicht genug, dass sie ihm seine Kleidung förmlich vom Körper reißen und sie rücksichtslos in die Pfützen werfen. Sie zerstören jegliches Kleidungsstück des neunzehnjährigen und lassen ihn nackt im eisigen Wind stehen. Anschließend zieht Roland einen länglichen und robusten Stock aus seinem Rucksack – er muss ihn wohl öfter mit sich tragen – und schlägt auf den nun noch ungeschützten Körper ein. Koray ruft lautstark um Hilfe, obwohl er es immer noch nicht fassen kann, was hier geschieht. Als er entblößend und demütigend ausgezogen wurde und er völlig nackt auf der kalten Straße stand, fingen einige der beobachtenden Passanten sogar an zu lachen! Doch jetzt wo Roland seinen Knüppel einsetzt tun die meisten so, als hätten sie nichts beobachtet und verschwinden aus Korays Blickfeld. Diese letzte Beobachtung zwingt Koray in eine Konfrontation mit der Wahrheit, die ihn in diesem Moment seelisch tötet. Weiter lässt Roland den jungen Mann jetzt nicht mehr denken. Endlich zu Boden geschlagen, nackt und mit blutigem Gesicht beginnt der Junge links von Roland völlig unbedacht und mit scheinbarer Freude unentwegt in die Gonaden zu treten. Mit Wucht merkt Koray die Tritte. Unzählbar, mehr als sieben mal. Langsam holt die Benebelung Koray ein. Klare Gedanken und das Sichtfeld verschwimmt in Blut und Schmerzen. Gerade noch stellt Koray fest, dass das Trommeln auf seinem unteren Bauchbereich keine Revitalisierungsmethode sondern gnadenlose Schläge mit Rolands Knüppel sind. Alles dreht sich jetzt und die Hitlerähnlichen Rufe der jungen Peiniger werden immer undeutlicher und immer aggressiver bis schließlich sein Bewusstsein zusammen mit einem Windstoß weggefegt wird...schwarz!