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Kapitel 2
Schimmerndes Antlitz
(vom 18.10.2003)

Erik sah den Lehrer in der Deutschstunde an, doch es schien ihm als würde er einfach hindurch schauen – dabei wollte er dies nicht mal. Überhaupt, heute nahm er alles wahr wie sonst, nur sehr viel nüchterner und alles schien ihm so sinnlos. Wenn er in die Gesichter seiner Mitschüler blickte – insofern sie nicht aus Schläfrigkeit in die verschränkten Arme gelegt wurden - wurde ihm schwer zumute, denn die sonst so fröhlichen Kameraden sahen müde und gelangweilt aus. Blickte er in das Gesicht des Lehrers sah er einen entnervten Mann, dessen einziges Ziel es war sein ach so herrlich anstudiertest Wissen zu vermitteln und die Schüler zu fordern und zu fördern. Bemitleidenswert! – denkt Erik sich dann. Manchmal erinnert ihn das akribische Verlangen von Interpretationen und sonstigen Leistungen fast an eine Ideologie. Aber dieser Gedanke verfliegt schnell wieder – ganz im Gegensatz zur Zeit. Sinnlos...alles sinnlos! Selbst der Lebensraum der Ameisen auf dem Schulhof scheint ihm beträchtlich. Aber er will weder in einem Meer aus Selbstmitleid baden noch vor Freude Luftsprünge machen, doch nach beidem ist ihm zu Mute. Ein Paradoxon, dass ihn heute wahnsinnig macht. Manchmal gibt es Tage, da sollte man im Bett liegen bleiben. Und ehe sich Erik Selbstbemitleiden kann hört er zu seiner Erleichterung die Schulglocke. Die Deutschstunde ist vorüber und er hat nicht ein Wort wahrgenommen, dass der Lehrer sagte. Wurden Hausaufgaben aufgegeben ? Erik weiß es nicht! Ist das Thema heute wichtig für die anstehende Klausur? Er hat keine Ahnung! Er fragt sich nur ob die Schule wichtig ist für sein anstehendes Leben. Koray geht es ähnlich. Deutsch interessiert ihn nicht und er macht er nur da mit, wo er auch Freude dran hat – was würde bloß Frau Nazarski zu solch einer Einstellung sagen.

Doch diese Frage stellt niemand.

Josch lauschte dem Unterricht und verfolgte jedes Wort. Nichts entging ihm. Immer alles aufzeichnen: jedes Wort, jeder Satz, jeder Aspekt, jedes Thema, jede Interpretation und jedes Ergebnis. Er ist immer gut im Bilde über die Texte, die gerade im Unterricht bearbeitet werden. Meistens weiß er auch noch mehr. Belesen und Lexikongeschult bereit für das Clement-Gebäude glitzert der Schein der ganz großen Sterne auf sein Antlitz. Arbeitswut, als ob es nichts anderes für ihn gäbe. Aber gibt es was anderes im Leben? Was hat Priorität? Und ist das was Priorität hat auch Inhalt des Lebens?

Doch diese Fragen stellt hier niemand.