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Kapitel 21
Traumfänger
(vom 26.12.2003 )

Multikulturalität hatte für Koray immer Vorteile! Zum Beispiel das Weihnachtsfest war sehr interessant für ihn. Während er sich zuhause zwar immer sehr wohl fühlte, wenn seine Familie Weihnachten auf türkische Art zelebrierten, konnte er bei Freunden parallel das deutsche Weihnachtsfest bewundern. Mehr Geschenke gab es zwar für Koray nicht, aber dafür war Weihnachten für ihn bisher immer ein Fest der Freude. Doch nun schien es so als ob er sich vor dem Wort DEUTSCH fürchten musste. Am Heiligabend konnte Koray zuhause sein. Seine Genesung war ein Tag zuvor ausreichend abgeschlossen und somit will ihm der Arzt ein schönes Weihnachtsfest ermöglichen. Krampfhaft schmückt Koray heute sein Zimmer mit allerlei Weihnachtskram. Eine Lichterkette ziert sein Fenster, eine Weihnachtspyramide wirft den Schein der Kerzen an die Decke und aus dem CD Regal ragen die drei Weihnachts- CDs hervor. An weihnachtlichem Fernsehprogramm soll es dieses Jahr auch nicht mangeln. Doch was Koray auch tut, er empfindet nichts für dieses Fest. Er weiß noch nicht mal so recht, ob er sich in das normale Leben wieder einfinden kann. Und was wird erst wenn die Ferien vorbei sind. Muss er dann vielleicht sogar die Schule wechseln oder soll er sich jetzt die Blöße geben und einen anderen Schulweg nehmen. Er geht doch mit Roland in eine Klasse und eigentlich hatte er ihm doch nie etwas angetan... Koray versteht dieses Geschehen noch lange nicht und mit dem Schwall von Gedanken schläft Koray nun ein. Und so vergeht dieses Weihnachtsfest schnell. Koray vertraut sich seinen Eltern an und versucht das Geschehene zu verstehen. Seine Eltern denken dabei an eine Art von „Dummen-Jungen“ - Streich und so beschließen sie, dass Koray selbstverständlich nicht von der Schule genommen wird, da es eine verheerende Auswirkung auf seine Leistungen haben könnte. Es kann ja, nach ihrer Meinung nur ein „Dummen-Jungen“ - Streich sein, denn ansonsten ist Koray auf seiner Schule ja alles andere als unbeliebt. Koray ahnt fürchterliches, auch wenn er der Einschätzungen seiner Eltern vertraut. Sie wollen mit den Vertrauenslehrern reden und somit den Schuldigen verantwortlich machen und Koray vor weiteren Überfällen schützen. Roland verlebt hingegen dieses Weihnachten umso fröhlicher – er hat ja auch das Glück in einer sorgenfreien Familie zu leben. Er bekam viele tolle Dinge von seinen Freunden und seinen Eltern geschenkt und die traditionellen Weihnachtslieder füllten die Wohnung. Familienidylle total – was könnte besser sein!? Jetzt steht der Jahreswechsel bevor und nächstes Jahr würde alles anders werden: 2004 bedeutet für die Schüler das dreizehnte Schuljahr, Vorbereitungen auf das Abitur. Das Leben steht vor der Tür und bald würden sie Geld verdienen können. Mel blickt hoffend in eine Zukunft an Eriks Seite, während Erik dieses Weihnachten noch ein paar mal an Christinas schönen Augen denken musste. Christina wiederum hofft auf eine Veränderung in ihrem Leben, da sie sonst an Unzufriedenheit irgendwann mal ersticken würde. Josch hatte dieses Weihnachtsfest Zeit gehabt seine angesammelten „Stern“ - Magazine in sein Regal zu sortieren und auch zu lesen. Josch liest gerne. Er beschäftigt sich auch in der Schule gerne mit langen Texten, wenn andere Schüler nach spätestens 450 Zeilen schon resignierend schnaufen. Er findet eine Freude daran geschichtliche Ereignisse zu bewerten und zu kommentieren. Denn hinter den offenkundigsten politischen Strategien konnte man oft noch hintergründige, nie geäußerte Intentionen erkennen und diese Erkenntnisse machten ihn so fröhlich wie andere in Abenteuerbüchern aufblühen. Josch ist einer der vielen Träumer. Er beschäftigt sich mit den intelligentesten Tätigkeiten, philosophiert über die sinnigste Poesie und kommentiert einleuchtend die schwierigsten Sachverhalte in interessanten Aufsätzen, die er sogar „in all seiner Langeweile“ – wie ihn oft viele Schüler liebevoll auslachen – in seiner Freizeit schreibt, doch er glaubt und kämpft tatsächlich für eine gemeinsame Idee und ein höheres Ziel. Und das macht ihn weltfremd. Sein Sinn für die wirkliche Essenz des Lebens außerhalb der Philosophie ist nicht entsprechend entfaltet. Aber ebendieser Sinn machte Erik einst auf seinen Freund aufmerksam. Erik weiß natürlich sehr wohl um den Verstand seines Freundes und geht auch entsprechend mit ihm um, aber er mag diese Eingebung, die nicht viele Menschen haben. Er schaut sich auch gerne „Star Trek“ an, was seine Idee der „perfekten“ Lebensart und seinem Appell an die Menschlichkeit am nächsten kommt. Er kann sich richtig in diese schöne Fiktion hineinleben und vergisst oft alles um ihn herum deswegen. Er ist ein Mensch mit dem man toll diskutieren kann, der aber von seinen Eltern und seiner Familie so liebevoll umsorgt und – er möchte fast sagen – verwöhnt ist, dass ihm die Möglichkeit die nackte Realität dieser Welt zu sehen genommen ist. Wenn es irgendwann mal problematisch würde, wie auch immer – so schwor sich Erik einst – dann werde er ihm helfen die Dinge so zu sehen, wie er sie sehen muss. Dass sich ihm diese Gelegenheit tatsächlich einmal bieten wird, hätte Erik aber nicht gedacht, denn in einem Jahr kann sich vieles ändern...